Wirtschaft
Währungen mit Mehrwert www.orf.at am 3.5.2009
Die Idee ist seit Jahrzehnten auf dem Markt: Eine Region oder ein Netzwerk schafft sich eine eigene Währung und koppelt sich damit - zumindest teilweise - von der übrigen wirtschaftlichen
Entwicklung ab. Ein Modell, das gerade in Krisenzeiten besonders attraktiv wirkt. Und der US-Trendforscher Douglas Rushkoff ist zumindest überzeugt, dass diese Komplementär- oder Parallelwährungen in naher Zukunft
einen Boom erleben werden.
Für Rushkoff ist es der logische nächste Schritt in der "Evolution des Geldes", wie das US-Magazin "Portfolio" online berichtete. Er schlägt etwa
"Craigsbucks" vor - also eine eigene Währung für Craigslist, die weltweit beliebte Website mit Immobilienkleinanzeigen.
Paradebeispiel Wörgl
Als Paradebeispiel gilt bis heute ausgerechnet die Tiroler Stadt Wörgl. Sie führte zu Beginn der 1930er Jahre das "Freigeld" ein und löste damit einen Bauboom in der Stadt aus.
Die Arbeitslosigkeit sank so dramatisch, dass das Modell international für Aufsehen sorgte. Auch heute gibt es in Österreich ähnliche Projekte, etwa den "Waldviertler".
Handys als Bankomaten
Die neuen technischen Möglichkeiten - vor allem Handys und Software, die es erlaubt, ohne Aufwand in mehreren unterschiedlichen Komplementärwährungen gleichzeitig zu bezahlen - werden
laut Rushkoff solchen Modellen zu einem neuen Boom verhelfen.
Kein Ersatz für richtiges Geld
Komplementärwährungen heißen diese Modelle, weil es keineswegs darum geht, das "richtige" Geld zu ersetzen. Vielmehr kann damit die lokale Wirtschaft einer Region gestärkt
werden, wenn das Geld nur dort ausgegeben werden kann.
Viele dieser Modelle sehen eine automatische (Teil-)Entwertung des Geldes nach einer gewissen Zeit vor - womit garantiert wird, dass das Geld nicht
gehortet, sondern in den Konsum oder in wertbeständigere Vermögensanlagen (etwa Immobilien) gesteckt wird. Laut ComplementaryCurrency.org gibt es derzeit weltweit 151 solcher Parallelwährungen.
Geldquelle für knappe Kommunen
Für Regionen und Gemeinden, die - etwa wegen der Finanzkrise - kein Geld auf dem Finanzmarkt aufnehmen können, kann eine solche Komplementärwährung zur Geldquelle für lokale
Entwicklungsprojekte werden.
Einfluss auf Kaufverhalten
Zusätzlich kann so die lokale Wirtschaft gestärkt werden - sprich: Shopping in der Region statt in der nächsten Großstadt oder dem Shoppingcenter. In einigen Fällen ist das Motiv für eine
eigene Währung daher auch der Umweltschutzgedanke.
Zeit statt Geld
Viele der Währungen geben statt eines Geldwerts auch Zeiteinheiten wieder - etwa für erbrachte Pflegearbeit -, womit dann ein anderes Service im selben Zeitumfang bezahlt werden kann.
Besonders in Japan ist diese Form von Parallelwährung beliebt - und der Bedarf wird angesichts der zunehmenden Überalterung der Bevölkerung noch weiter steigen.
Kassa für Minuten
Immer populärer wird es auch, Handyminuten als Währung zu verwenden - vor allem in Afrika ist das ein zusehends verbreitetes Modell. Laut "Portfolio" macht der Handel in
Handyminuten bereits ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts von Kenia aus. Bezahlt wird, indem der Kunde an der Kassa Handyminuten vom eigenen Telefon auf jenes des Geschäfts überträgt.
Laut der NGO
Transparency International erfreuen sich solche Parallelwährungen in Ländern mit hoher Korruption oder instabilem bzw. restriktivem politischem System besonders hoher Beliebtheit.
Heißes Spielgeld
Chinas Regierung ging vor drei Jahren gegen eine beliebte Komplementärwährung vor. Die virtuelle "QQ-Währung" des gleichnamigen Sozialen Netzwerks hatte sich so stark
verbreitet, dass Peking ein Anheizen der Inflation des Yuan befürchtete.
In Toronto ist seit vielen Jahren der "Toronto-Dollar" Teil des Alltags - und wird auch von der Politik unterstützt.
Endlose Möglichkeiten
Von Kundenbindung über die Stärkung des sozialen Zusammenhalts durch gemeinnützige Arbeit bis zu Babysitten und Bezahlen im Web 2.0: Die Anwendungsmöglichkeiten von Komplementärwährungen
sind zumindest nach Ansicht von Rushkoff schier endlos. Demnach wird es künftig normal sein, dass jeder aus einer Flut an maßgeschneiderten "Graswurzelwährungen" wählt und mit diesen bezahlt.
Persönliche Anliegen wie Umweltschutz und soziales Engagement lassen sich dann auch durch die Wahl der Währung "ausleben".
Erfolg als Gefahr?
Eine zu starke Verbreitung könnte das "Freigeld" aber auch in eine Krise stürzen: Denn das Wichtigste - das Vertrauen - könnte bei einer globalen Verbreitung von
Komplementärwährungen erschüttert werden - und damit denselben Turbulenzen ausgesetzt sein wie Euro, Dollar und Co.
Sind die Zinsen unser Problem?
Alternative Anlageformen - Investieren in Mikrokredite
Oikocredit - Mit einer Geldanlage weltweite Armut bekämpfen
Die international tätige Genossenschaft Oikocredit bietet Ihnen die Möglichkeit, Ihre Ersparnisse in Mikro- und Projektkredite zu investieren, die Menschen in finanziell schwierigen Situationen neue Möglichkeiten
eröffnen.
Oikocredit wurde auf Initiative des Weltrates der Kirchen 1975 gegründet und kann damit auf langjährige Erfahrungen im Bereich der Entwicklungs-Finanzierung zurückgreifen. Oberste Priorität hat die Hilfe zur
Selbsthilfe: Menschen sollen ihren eigenen Weg aus der Armut finden - Oikocredit unterstützt sie dabei mit Rat und finanziellen Mitteln.
Als KreditnehmerInnen werden sie als PartnerInnen und nicht als
passive EmpfängerInnen von Spendengeldern angesehen. Lies mehr auf www.oikocredit.org.
Mehr zu Oikocredit auch im Interview mit Dr.Peter Püspöck auf radio%attac vom 3.11.2008 - 2 Teil der Sendung (.mp3 File 26 MB)
Schwundgeld - Das Experiment von Wörgl
„Während in aller Welt durch den internationalen Geldstreik das Wirtschaftsleben lahm gelegt wird, reißt dieser Bürgermeister seine verelendete Gemeinde aus der Apathie durch die
Geldrefom von Wörgl nach dem Freigeldgedanken von Silvio Gesell“ – so und ähnlich euphorisch berichtete die internationale Presse
in den 1930er Jahren über das als Wörgler Freigeld noch heute weltweit bekannte Währungsexperiment.
Was ist dran an dieser Geldreform, mit der Bürgermeister Michael Unterguggenberger
„der Welt ein Zeichen geben“ wollte? Warum taucht die Wörgler Nothilfeaktion noch heute als Lehrbeispiel an Universitäten in aller Welt auf? Was geschah damals in dem “kleinen Tiroler Marktflecken“?
Die
1929 durch den Börsencrash in den USA ausgelöste Weltwirtschaftskrise traf zu Beginn der 1930er Jahre auch Europa und damit die österreichische Wirtschaft. Und Wörgl besonders hart.
Durch den Bau der Eisenbahn im 19. Jahrhundert hatte sich die 1911 zum Markt erhobene Gemeinde vom Bauerndorf zum regionalen Wirtschaftszentrum mit Industrie und Gewerbe gewandelt.
Der
wirtschaftliche Niedergang führte dazu, dass immer weniger Geld in Umlauf war. Die Absatzmärkte brachen ein, Produktions-Stillstand und Arbeitslosigkeit waren die Folge. Die Zellulosefabrik sperrte zu, die
Zementindustrie drosselte die Produktion, und aufgrund der Elektrifizierung der Bahn wurden auch da viele Arbeiter entlassen.
1932 waren in der Region 1500 Menschen arbeitslos, im 4.200 Einwohner
zählenden Markt Wörgl 400 Menschen – wovon 200 bereits „ausgesteuert“ waren, damit keine staatliche Unterstützung mehr erhielten und der Armenfürsorge der Gemeinde zufielen. Die Gemeindekasse war
aber leer, nicht einmal die Zinsen für den 1,3 Millionen-Schilling-Kredit für den Bau der Bürgerschule konnten zurückbezahlt werden.
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Weiterführende Informationen und Dokumentation in Fritz Schwarz: ‘Das Experiment von Wörgl’ (1951)
Alexander Muralt: Der Wörgler Versuch mit Schwundgeld (geschrieben 1933)
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